Reg Dich ab! Hohes Erregungslevel beim Hund


REG DICH AB! Das ist der wohl hirnrissigste Hinweis an jemanden, der sich gerade aufregt.

Reg dich ab.

Aha! Ok, ja Danke, schau, jetzt bin ich Dank Deiner Hilfe komplett entspannt! Ich danke Dir!

 

Mich regt das richtig dolle auf, weil es nicht nur überhaupt kein Fitzelchen hilfreich ist, sondern auch noch total überheblich daherkommt.

Entspannter Hund, bitte!

Die Frage ist doch: Wie schaffen wir es, uns wirklich wieder abzuregen? Was hilft uns, mit Ärger, Wut, Frust besser umzugehen? Und uns beim nächsten Mal weniger schnell aufzuregen?

Eine Situation, die mich richtig hart aufregt, nicht erst seit Corona, sind Menschen, die mir ohne Not auf die Pelle rücken. So Supermarktkassen-in-den-Nacken-Atmer. Oder Menschen, die sich im leeren U-Bahn-Waggon direkt neben mich stellen, am besten mit Körperkontakt.

Oder auf der Liegewiese ihr Handtuch quasi halb auf meines legen.

Wie man damit nun umgeht, ist natürlich eine andere Frage. Ich wähle immer den geordneten Rückzug, setze mich also um oder ziehe auf einen anderen Teil der Liegewiese. Ich mag nicht aggressiv sein, ich schreie im Auto schon genug rum.

An der Supermarktkasse ist das aber nicht möglich, da steht der Nackenatmer hinter mir, und wenn ich einen Schritt nach vorne gehe, kommt der Nackenatmer mit, weil Nackenatmer sind sehr anhänglich und verstehen sich nicht gut darauf, subtile Hinweise zu lesen.

Unsere Hunde machen solche Nackenatmer- Erfahrungen ständig, weil sie an der Leine wenig Möglichkeiten haben, ihre Individualdistanzen zu bewahren. Oder überhaupt dem nachzugehen, was sie gern tun würden. Es gibt ja auch genügend kontaktfreudige Hunde, die gern viel öfter mal Hallo sagen möchten, aber permanent daran gehindert werden. Ich stelle mir das ziemlich furchtbar vor.

Was viele Menschen nun erwarten: Lockere Leine, ruhiges Vorbeigehen an Artgenossen, bitte nicht bellen, kein Generve, auf einer Seite laufen, ned schnüffeln, nicht stehenbleiben, nix anschauen. Wenn der Hund sich aufregt, soll er sich bitte wieder abregen und zwar flotto.

Ich stelle immer und immer wieder fest, dass Aufregung und fehlende Regulierungsmöglichkeiten seitens der Hunde ursächlich sind für eine Vielzahl an Verhaltensproblemen. Leine zerren, übermäßiges Bellen, Unruhe, Leine beißen, Artgenossen angehen, bis hin zu selbstgefährdendem oder selbstverletzendem Verhalten. Ein (zu) hohes Erregungslevel ist problematisch, es kann einen Hund auf Dauer krank machen. Und einen selbst auch, weil man sich hilflos fühlt, wenn man einen Hund an der Seite hat, der permanent „drüber“ ist. Nicht ansprechbar, nicht trainierbar.

Und genau da liegt das Problem. Reg dich ab: funktioniert nicht. Bevor man irgendetwas trainiert, muss das Erregungslevel gesenkt werden. Da hilft kein Leinenruck, kein anschreien, kein randalieren. Zunächst einmal muss man herausfinden, welche Ursache dem Ganzen zugrunde liegt. Gesundheit, Tagesablauf, Futter, Bedürfnisse, Erwartungen - alles gehört auf den Prüfstand. Um dann zu schauen, was dem Hund helfen kann, wieder gelassener zu werden.

Alltag entstressen, Entspannungstraining, Massagetechniken, Umweltmanagement - es gibt viele Wege zu mehr Gelassenheit, bis hin zu Thundershirt oder Nahrungsergänzungsmitteln. Und dauerhaft möchte ich natürlich Hilfe zur Selbsthilfe leisten. Damit der Hund eines Tages selbstständig in der Lage ist, sich wieder abzuregen oder sich gar nicht erst aufzuregen. Auch wenn ein Nackenatmer auftaucht.

Tipps für mehr Gelassenheit

 

Jeder Hund ist individuell, jedes Team ist einzigartig. Deshalb ist es neben einer gründlichen Anamnese auch unerlässlich, individuelle Lösungen anzubieten. Es gibt aber ein paar Dinge, die man ganz im Allgemeinen beachten sollte: 

 

  1.  Training in hohen Erregungslagen bringt Euch nicht weiter! Achtet deshalb unbedingt immer darauf, alle Signale erst einmal in entspanntem Zustand zu trainieren. In ablenkungsreichen Gebieten für Entspannung zu sorgen, ist deshalb mit das wichtigste Training, damit der Hund ansprechbar bleibt und überhaupt auf Signale reagieren kann.
  2. Selbst ruhig bleiben! Ihr seid Vorbild und helft Eurem Hund nicht, wenn Ihr ungeduldig, grantig oder hibbelig werdet.
  3. Es kann sinnvoll sein, gleiche Hin- und Rückwege zu wählen, und keine Rundwege zu gehen, damit der Hund nicht permanent neuen Reizen ausgesetzt ist.
  4. An aufregenden Stellen etwas Entspannendes machen (Ruhepause, etwas zu Kauen geben, Schlecktube, Futtersuche – senkt den Puls, nimmt den Fokus von der Umwelt).
  5. Erst einmal Umgebungen meiden, in denen der Hund komplett gestresst ist. 
  6. Passende Uhrzeiten wählen (wenig Menschen, Hunde, Radler, Wildaktivität)
  7. Spazierdauer kürzen und dafür mehr Pausen einbauen.
  8. Auf große Distanz an Auslösern arbeiten, damit Reize nicht mit Erregung verknüpft werden.
  9. An Triggern (Wildgeruch, Katze, Eichhörnchen im Baum, Wildwechsel, Hunde, Radler) so lange stehenbleiben, bis der Hund wieder ansprechbar ist. Zieht Ihr ihn in hoher Erregung weiter, nimmt er die Erregung in die nächste Begegnung mit dem Trigger mit!

Aktive Entspannung

 

Geachtet wird auf die veränderte Körperhaltung:

  • Stehen in der Körpermitte
  • Stehen an lockerer Leine
  • Diener (Vorderkörpertiefstellung)
  • Strecken (z.B. am Leberwurstbaum)
  • Schütteln

Konditionierte Entspannung

 

Bestimmte Signale werden mit Entspannung verknüpft, z.B. ein Entspannungswort (ruuuhig, eaaasy, aaaalles gut).

Das Signal wird erst einmal immer dann genutzt, wenn der Hund entspannt ist, bzw. dabei ist, sich zu entspannen (ablegen, auf die Seite legen, tiefes ausatmen). Nach ein paar Wochen kann das Signal dann in einer angespannten Situation verwendet werden. Das Signal sollte immer wieder mit Entspannung aufgeladen werden. 

 

Direkte Entspannung

  • Direkte Einwirkung auf den Hund durch Anfassen, Massieren, Halten an der Brust. 
  • Isometrische Übungen: Hand an Hüfte oder Schulter, leicht drücken und Gegendruck ruhig loben

Tellington TTouch

  • Führtechniken und Leinenhandling wie Leine ausstreichen 
  • Massagetechniken: Hand bzw. Fingerkuppen liegen mit den Fingern nach unten am Hundekörper. Mit Zeige- und Mittelfinger sanft die Haut verschieben, 1 ¼ Umdrehung und ruhig mit der Hand am Körper weiterrutschen, wiederholen. 
  • Körperbänder 

Weitere Unterstützungsmaßnahmen

  • Thundershirt
  • Proteingehalt der Ernährung checken 
  • Adaptil Diffuser oder Halsband
  • Nahrungsergänzungsmittel wie Vitamin B, Zylkene oder Sedarom

Bei sehr ängstlichen oder stark verhaltensauffälligen Hunden bitte unbedingt einen Verhaltensmediziner hinzuziehen! Solche Hunde benötigen unter Umständen medikamentöse Unterstützung. 

 

Es gibt keinen allgemeingütigen Tipp, der rasch zum Erfolg führt. Nicht alles funktioniert bei jedem Hund gleich, und es ist ein Prozess, der dauern kann und einem viel abverlangt. Aber es führt kein Weg daran vorbei - hohe Erregungslagen lassen sich nicht "wegtrainieren". 

Inhaberin: Isabel Boergen ♥ Hundetrainerin

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